Jetzt auch noch Hufrehe
Drei Tage nach Fins 8. Geburtstag, bekam ich einen Anruf, mein Pferd würde in Sägebockstellung auf der Koppel stehen. Ich wusste sofort, das konnte nur eins bedeuten. Jeder Pferdebesitzer weiß ganz genau was das heißt und fürchtet sich davor:
Hufrehe
Als ich im Stall ankam, sah ich ihn schon von weitem, wie er so auf der Koppel stand. Ich rief sofort den Tierarzt an. In diesem Moment war es für mich vorbei. Ich hatte schon drei Pferde mit Hufrehe bei uns im Stall miterlebt. Und egal was die Besitzer auch versuchten, es war immer Quälerei mit dem gleichen Ende.
Nur mit einer ordentlichen Portion Schmerzmittel bekam ich mein Pferd überhaupt von der Koppel. Ohne weigerte er sich, auch nur einen Schritt zu machen. Und selbst mit Schmerzmittel benötigten wir für die paar Meter zurück in den Stall ewig. Drei Schritte, halbe Minute Pause, wieder drei Schritte …
Als die Tierärztin kam und röntgte, wusste ich bereits, was dabei herauskommen würde und ich sollte Recht behalten. Hufrehe. Ich sagte ihr, sie solle ihn gleich einschläfern, ich hatte nicht vor, mein Pferd unnötig leiden zu lassen. Und nichts anderes war es für mich, hieran herum zu doktern. Sowohl die Tierärztin sah mich geschockt an und meinte ich solle mir das nochmal überlegen, manche Pferde würden sich von einem Schub wieder erholen. Auch meine Mutter redete auf mich ein und meinten, ich solle ihm doch wenigstens drei Tage geben. Ich solle dem Großen noch eine Chance geben, nachdem was wir bereits alles schon geschafft hatten. Zuerst wollte ich nicht so recht, ich sah keinen Sinn darin. Hufrehe war für mich unheilbar!
Am Ende ließ ich mich überreden. Dennoch hatte ich bereits mit dem Leben meines Pferdes abgeschlossen und ich war mir sicher, dass in drei Tagen gar nichts besser wäre.
Daraufhin weigerte ich mich in den Stall zu gehen. Ich konnte mein Pferd einfach nicht mehr sehen, konnte ihm nicht beim Leiden zusehen. Meine Mutter kümmerte sich die nächsten zwei Tage um mein Pferd, dem es immer schlechter ging. Wo ich dieses Mal aufgegeben hatte, suchte sie an meiner Stelle nach einer Lösung.
Sie kam ganz aufgeregt am Abend des zweiten Tages zu mir und hielt mir die Internetseite der Hufklinik Eifel unter die Nase. Sie hatte in den letzten zwei Tagen das ganze Internet auf Links gekrempelt und zeigte mir nun, was die Ergebnisse waren. Sie zeigte mir ein Video von einer Islandstute, die dort behandelt wurde. Und zwar erfolgreich! Ich war erstaunt von dem, was ich sah und ein klitzekleiner Funken Hoffnung machte sich in mir breit.
Am nächsten Morgen riss ich mich dann wieder zusammen und ging zu meinem Pferd. Ich glaube, mein Pferd hat sich noch nie so gefreut, mich zu sehen, wie an diesem Morgen. Ich wurde gleich wiehernd begrüßt. Er stand sogar extra auf. Von meiner Mutter wusste ich, dass er die letzten zwei Tage fast nur noch gelegen hatte und so gut wie nichts mehr fraß. Ein paar Stunden saß ich bei Fin in der Box. Seit ich den Stall betreten hatte, ging es meinem Pferd augenblicklich besser. Er fing sogar an zu fressen. Mein Besuch tat seiner Psyche ganz offensichtlich gut.
Mein Pferd hatte noch immer den Willen weiter zu leben. Er kämpfte immer noch. Und solange mein Pferd den Willen hatte weiter zu machen, durfte ich auch nicht aufgeben!
Direkt als ich daheim ankam, wählte ich die Nummer meiner mittlerweile unverzichtbaren Allgäuer Alchemistin und Kräuterkundigen. Sie hatte mir beim letzten Mal schon weiterhelfen können und deshalb hoffte ich, dass es auch dieses Mal so sein würde. Sie gab mir eine ganze Liste an Kräutern durch, die ich besorgen sollte. Ich kaufte alles noch am selben Tag.
Zwei Tage später kam die Tierärztin wieder und machte den Sohlen-Polster-Verband runter. Außerdem brachte sie mir Hartgummikeile mit, die statt dem Verband unter die Hufe geklebt werden sollten. Fin stand total bescheiden auf den Dingern.
Da er seit dem Röntgen nur noch in der Box stand, hatte ich vor, mit meinem Pferd zumindest fünf Minuten an der Hand grasen zu gehen, in der Hoffnung, dass es gegen sein fast schon depressives Verhalten helfen würde. Die paar Meter bis zur nächsten Wiese dachte ich wirklich, mein Pferd bricht sich gleich die Beine. Mit den Keilen nahm es ihn fast vorn über, so steil waren die Dinger. Fin freute sich aber trotzdem wie ein Schneekönig, als er ein paar Grashalme zu mümmeln bekam. Als wir wieder zurück in seiner Box waren, rupfte ich als erstes die Keile runter.
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Ich hatte jetzt wirklich genug von dem Irrsinn!
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Ich setzte die Medikamente vom Tierarzt langsam ab, die gefühlt bis dato überhaupt nichts gebracht hatten und tauschte sie gegen Pflanzliche Präparate aus, die ich empfohlenen bekommen hatte. Auch stellte ich mein Pferd wieder auf die Koppel. Wir hatten ihm ein ganz kleines Stück abgezäunt, auf das er jeden Tag ein paar Minuten durfte. Els leistete ihm dabei Gesellschaft.
Als meine damalige Tierärztin am Ende der Woche anrief, um zu fragen, wie es Fin ginge, bekam sie von mir zu hören, dass ich die Keile entfernt hatte, mein Pferd keine Medikamente mehr bekam (zumindest keine von ihr verordneten. Was er stattdessen bekam erzählte ich ihr lieber nicht) und das er sogar schon wieder über die Koppel marschierte.
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Sie sprach von einer Wunderheilung?!
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Nach diesem Erlebnis war mein Frust unglaublich groß. Ich wartete bereits auf die nächste Katastrophe. Es störte mich, dass ich zur Untätigkeit verdammt war. Meine Lieblings-Kräuterheilkundige war begeistert über den Erfolg unserer Behandlung und bot mir an, mich zu ihrem Lehrling zu machen. Zuerst war ich etwas verwirrt über dieses Angebot, aber im Prinzip war es genau das, was ich wollte: Endlich selbst etwas unternehmen können.
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Fins Hufrehe heilte komplett aus. Im Folgejahr bestand unser einziges Problem, mit seinen Hufen, aus der dünner gewordenen Sohle. Auf Schotter konnte er nicht mehr laufen, ohne sehr fühlig zu sein. Passende Hufschuhe zu finden. Es war extrem schwierig bis unmöglich, weil es damals noch keine Schuhe für so große Hufe gab. Am Ende gab es ein maßgefertigtes Paar. Mit diesen konnte mein Großer dann endlich wieder uneingeschränkt über den Schotter laufen und das in allen Gangarten.
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Und damit hatte Fin … schon wieder Glück im Unglück.​
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