Schlangenbiss
Ich war morgens an der Reihe, die Pferde von der Koppel zu holen. Die Pferde standen über Nacht auf der Weide, da es tagsüber zu viele Pferdebremsen hatte. Normalerweise kamen unsere Pferde auch gleich rein, aber an diesem Morgen lief es irgendwie nicht so richtig. Els reagierte gar nicht, wo sie sonst die erste war und immer voraus ging. Also lief ich zu meinem Pferd und als ich vor ihr stand, bemerkte ich auch gleich, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Els stand zitternd auf der Koppel und war eiskalt. Mein Pferd ließ sich dann doch noch davon überzeugen, die Koppel zu verlassen und lief stocklahm zum Stall.
Im Stall holte ich als erstes das Fieberthermometer aus dem Medizinschrank. 38.7 C°. Und trotzdem fror mein Pferd. Ich gab ihr etwas gegen Fieber und legte ihr - nach etwas Hin und Her überlegen - doch eine Decke drüber. Ich schaute dann mein Pferd nochmal genauer an, ob sie irgendwo eine Verletzung oder irgendetwas anderes Auffälliges hatte. Eine Verletzung fand ich zwar nicht, aber ich fand eine dicke, steinharte Schwellung auf ihrer Brust. Im Gegensatz zum Rest meines Pferdes war die Schwellung kochend heiß! Ich trug dort eine wärmeziehende Passte auf und wollte kurze Zeit später direkt nochmals nach ihr sehen. Würde es ihr da nicht besser gehen, wollte ich einen Tierarzt rufen.
Etwas später ging es meinem Pferd zum Glück etwas besser. Sie fror nicht mehr und ich machte die Decke wieder runter. Auch Laufen ging wieder etwas besser, auch wenn sie die Schwellung dabei störte. Ihr Fieber war allerdings auf 39.2 C° angestiegen. Ich kühlte Beine und Schwellung und sie bekam nochmal etwas gegen ihr Fieber. Am Abend war es dann auf 39 C° gesunken. Nicht viel, aber bis auf das Fieber und die Schwellung, die sie beim Laufen störte, machte sie soweit einen stabilen Eindruck.
Am nächsten Morgen ging ich wieder in den Stall, um Els ihre Medizin zu geben und nach dem Rechten zu sehen. Ich rätselte schon die ganze Zeit, woher die „Beule“ kam. Nirgendwo war eine Verletzung an meinem Pferd zu finden und nach einem Tritt sah das auch nicht aus.
Mein Vater wollte ebenfalls mit mir in den Stall gehen, als er hörte, dass es Els nicht gut ging. Mit ihm im Schlepptau rückte ich meinem Pferd gleich wieder mit dem Fieberthermometer auf die Pelle. 38,5 C°. Sehr gut, das Fieber ging runter! Die Schwellung sah aber immer noch schrecklich aus und war heiß und steinhart. Als mein Vater Els sah, meinte er, dass das ein Schlangenbiss sei.
Meine Reaktion: „Bei uns hat es doch keine Schlangen!“ Ich hielt das für Blödsinn. Er meinte, er hätte das schon bei Kühen auf der Alm gesehen. Mein Vater kommt aus Südtirol und dort gibt es durchaus Schlangen. Also griff ich nach meinem Handy und googelte erstmal, ob es bei uns überhaupt Schlangen gibt. Und tatsächlich! In Deutschland gibt es sechs verschiedene Schlangenarten: Vier zählen zur Familie der Nattern, zwei zu den Vipern. Sowohl die Kreuzotter als auch die Aspisviper sind Giftschlangen. Ich schaute, ob ich Bilder oder sonst einen Eintrag zu Schlangenbissen beim Pferd fand. Aber gar nichts, lediglich etwas zu Schlangenbissen beim Hund.
Da auch bei der ATM keine Informationen zu Schlangenbissen zu finden waren und ich im Internet nichts Seriöses fand, rief ich am nächsten Tag im Allgäu bei meiner Lehrmeisterin an. Auch sie meinte, dass es sich laut meiner Beschreibung um einen Schlangenbiss handelte.
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An Tag drei sah ich auch schon die nächste Bestätigung für die Schlangenbiss-Theorie: Mein Pferd hatte in beiden Nieren-Meridianen jeweils eine gut sichtbare, tiefe Delle. Ich fuhr direkt wieder Heim, um Medizin für ihre Nieren einzupacken.
An Tag fünf war von den beiden Dellen in den Nieren-Meridianen nichts mehr zu erkennen. Dafür sah man, wie die Schwellung anfing zu wandern: Sie sackte ab und lief ins rechte Vorderbein.