Ein Blick hinter den Spiegel
Als ich mir damals mein erstes eigenes Pferd kaufen wollte, hatte ich einen richtigen Friesen Tick. So stand für mich fest, ein Friese soll her. Und so kam es dazu, dass ich mit meiner Mutter, als Kaufberaterin, auf dem Hof eines Friesenhändlers stand.
Dort kam es zu meiner bzw. unserer ersten Begegnung mit Els. Meine Mutter hatte zwar nichts für Friesen übrig, aber dafür für Stuten umso mehr. Sie war sofort begeistert von dem hübschen Pferd mit dem Puppengesicht. Und Els, als ob sie gewusst hätte worum es ginge, zeigte sich von ihrer Schokoladenseite. Sie gab sich richtig Mühe, uns zu beeindrucken und sich einzuschmeicheln. Beim Probereiten war sie zwar ganz schön verspannt und unruig, aber ich schob es darauf, dass sie den ganzen Tag nur in der Box stand. Und obwohl ich eigentlich kein Stutenfreund bin, hab ich mich doch überreden lassen, mich für Els zu entscheiden. Hätte ich damals einen genaueren Blick in das Gesicht meines Pferdes geworfen, wäre mir vielleicht aufgefallen, dass etwas nicht stimmt. Der Blick der damals 6 jährigen Stute verriet eigentlich schon alles.
Manchmal sagt ein Blick mehr als tausend Worte.
Die Freude über den Pferdekauf hielt nicht lange.
Kurze Zeit nachdem Els bei uns im Stall eingezogen war, gingen die Probleme los:
Sie war ein einziges Nervenbündel. Alles in ihrer Umgebung wurde von ihr als potenziell gefährlich eingestuft, was mein Pferd ebenfalls zu einer Gefahr machte. Sie hatte die Angewohnheit im Zweifel kopflos die Flucht zu ergreifen und dann gab es kein Halten mehr. Dem Mensch gegenüber war sie immer misstrauisch. Sie reagierte nach dem Motto: Mach etwas, das mir nicht passt, dann wehre ich mich! Wer nicht rechtzeitig reagierte, bekam einen Huf oder Zähne zu spüren.
Beim Reiten ging es gerade weiter. Von Entspannung auch hier keine Spur. Mein Pferd lief grundsätzlich nur hinter der Senkrechten (Rollkur) und sobald man antrabte, ging es mit viel zu viel Tempo vorwärts.
Egal was ich versuchte, keine Chance.
In kürzester Zeit wusste ich nicht mehr, was ich mit Els machen sollte.
Meine Mutter versuchte daraufhin ihr Glück. Sie hatte immerhin über 30 Jahre Pferdeerfahrung und war mit einem jungen, meiner Meinung nach ziemlich durchgeknallten, Trakehner zurecht gekommen. Dagegen war doch so ein kleiner Friese nichts ...
Aber auch sie hatte keinen Erfolg.
Reitstunden brachten auch nichts. Mit Korrekturberitt hatte ich es auch versucht, aber den musste ich schon nach der ersten Stunde wieder abbrechen. Mein Pferd hatte sich hier aktiv gegen den zu groben Reiter auf ihrem Rücken gewehrt, und zwar so, das ich mir ernsthaft sorgen um die körperliche Unversehrtheit der Bereiterin machte.
Ich hatte damals wirklich Angst vor diesem Pferd, das so unberechenbare Panikattacken hatte. Ins Gelände ging ich mit ihr schon gar nicht mehr und ich hatte mehrfach darüber nachgedacht, Els einfach zu verkaufen und das Reiten komplett aufzuhören. Aber umso länger Els bei mir war, umso mehr stellte ich fest, dass die böse Hexe, für die ich sie am Anfang hielt, im Grunde nur ein Aschenputtel war. Zugegeben, vielleicht ein etwas garstiges.
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Erst als ich, ein Jahr nachdem ich Els gekauft hatte, wieder Kontakt zu dem Händler hatte, fand ich heraus, was mein Pferd schon erleben musste.
Im Nachhinein wundert es mich nicht, dass ihr Verhältnis zum Mensch so schlecht war:
Geboren wurde Els in Holland. Dort wurde sie auch angeritten. Auch hier fügtet sie sich nicht wie gewünscht und die Methoden wurden gröber und das Gebiss schärfer. Das ganze wurde soweit getrieben, bis ihr dabei ihr Kiefer angebrochen wurde. Doch selbst mit Gewalt fügte sich mein Pferd nicht. Schließlich hat man den Beritt abgebrochen und sie stattdessen in die Zucht genommen. Mit 6 Jahren wurde Els als unreitbar von Holland nach Deutschland verkauft. Der Händler, von dem ich Els hatte, lies sie auch nochmal decken, da er selbst ein paar Deckhengste hatte und ebenfalls züchtete. Laut Tierarzt hatte sie allerdings nicht aufgenommen. Also schrieb er sie zum Verkauf aus. Und so landete sie dann schließlich bei mir. Und was wir alle nicht wussten: Els war sehr wohl tragend. Und wir haben uns gewundert, warum sie immer dicker wurde …
Nachdem mit meinem Pferd einfach nichts, von dem was ich ausprobiert hatte, funktionierte, war ich gezwungen, radikal umzudenken:
Als Englischreiter begonnen, habe ich im Laufe der Jahre wirklich einiges an Reit-und Ausbildungsmethoden durchexerziert. Ich habe nach und nach alles ausprobiert, was mir irgendwie erfolgversprechend erschien. Und das Wichtigste von allem: Ich habe angefangen, auf mein Pferd zu hören, was für Sie denn passt! Ich habe mit Els nicht gelernt, wie man ein toller Dressurreiter wird, sondern etwas, das ich persönlich viel wichtiger finde:
Zuhören und Respekt vor dem Pferd zu haben!
Wo es für mich früher selbstverständlich war, ein Pferd zu reiten, begann ich es richtig wertzuschätzen, dass mein Pferd mich auf seinem Rücken duldete.
Es dauerte acht Jahre, bis ich an dem Punkt ankam, an dem ich guten Gewissens sagen konnte, dass mein Pferd endlich richtig Vertrauen gefasst hatte und ich uns ein Team nennen konnte.
Keine Panikattacken mehr. Wo sie vorher schon davonrannte, wenn sie einen Traktor nur hörte, steht sie heute völlig entspannt daneben, wenn einer direkt an ihr vorbei fährt.
Und auch beim Reiten keine Probleme mehr: Keine Rollkur, kein rennen, kein Stress.
Heute glaubt mir keiner mehr, der Els damals nicht selbst erlebt hat, wenn ich erzähle wie sie früher war. Heute ist sie bei allen das Püppchen oder die Prinzessin, keine Spur mehr von „Hexbet“. Mittlerweile genießt sie einfach den Respekt und die Liebe, die man ihr entgegen bringt und gibt sie auch mit Freude zurück.